Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Lehrveranstaltungen im WS 2018/2019

V: Geschichte der Schelmenliteratur II (Mi 8-10)

Die Vorlesung knüpft an den im Sommersemester 2018 vorgetragenen ersten Teil an, setzt diesen aber nicht voraus. Während es dort zunächst um die mit den Schelmen verbundenen Funktionen ging, soweit sie sich in anthropologischer und sozialer, religions- und literaturgeschichtlicher Hinsicht auslegen lassen, wird es nunmehr darum gehen, zum einen Stationen einer Geschichte der Schelme von der Antike bis zur Gegenwart vorzustellen und zum anderen den Blick auch auf außereuropäische Literaturen und ihren Umgang mit den Figuren und Funktionen der Schelme zu richten.

Lit.: James Frazer: Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker [1890]. Reinbek: Rowohlt 2004; Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie [1928]. Berlin New York: de Gruyter 31965; Helmuth Plessner: Zur Anthropologie des Schauspielers. In: ders.: Zwischen Philosophie und Gesellschaft. Ausgewählte Abhandlungen und Vorträge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979, S. 205-219; Paul Radin u.a.: Der göttliche Schelm. Ein indianischer Mythen-Zyklus. Zürich: Rhein Verlag 1954; Elias Canetti: Masse und Macht. Frankfurt a.M.: Fischer 1960; Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft [1961]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1969; Michail Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. München: Hanser 1969; Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987; Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag [1959]. München: Piper 1983; Matthias Bauer: Der Schelmenroman. Stuttgart: Metzler 1994; Jürgen Jacobs: Der Weg des Picaro. Untersuchungen zum europäischen Schelmenroman. Trier: WVT 1998; Hans Gerd Rötzer: Der europäische Schelmenroman. Stuttgart: Reclam 2009; Erhard Schüttpelz: Der Trickster. In: Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Hrsg. von Eva Eßlinger, Tobias Schlechtriemen, Doris Schweitzer, Alexander Zons. Berlin: Suhrkamp 2010, S. 208–224.Werner van Treeck: Dummheit. Eine unendliche Geschichte. Stuttgart: Reclam 2015.

S: Subalterne, Rebellen, Marginalisierte in den Literaturen des 18. Jahrhunderts

(Di 14-16)

Zu den sich im 18. Jahrhundert abzeichnenden Prozessen bürgerlicher Emanzipation, der Ausbreitung von Büchermärkten, Bildung, Lese- und Schreibfähigkeiten im Rahmen der Aufklärung und auch einer sich entsprechend sowohl verbreitenden als auch verstärkenden Öffentlichkeit gehört auch, dass Angehörige von Unterschichten und diskriminierten, auch marginalisierten Gruppen nunmehr zu Wort kommen können. In welchem Maße sie dabei selbst sprechen (können) bzw. sich in den im Rahmen „bürgerlicher Vergesellschaftung“ (F.H. Tenbruck) angebotenen Sprecherrollen, Masken und Rollenzuschreiben ggf. ausdrücken und wiederfinden oder auch verfremden bzw. verzeichnen müssen, wird Gegenstand der Seminararbeit sein. Wir werden dazu zunächst im Seminar den historischen Rahmen und die damit verbundenen Prozesse „bürgerlicher Vergesellschaftung“ erkunden, insbesondere auch deren Institutionen: Bildungseinrichtungen, Zeitschriften, Buchmarkt, literarische Kritik, Korrespondenten Netzwerke vorstellen. In einem zweiten Teil werden dann die titelgebenden Begriffe: Rebellen, Marginalisierte und Subalterne erörtert, um dann in einem dritten Schritt einzelne literarische Texte im Blick auf die darin angebotenen Erfahrungen, Weltdeutungen, Kritikpunkte und -maßstäbe zu untersuchen. Nicht zuletzt wird es darum gehen, nach den Möglichkeiten zu fragen, ob und ggf. wie diese Erfahrungen als Stimmen gestaltet werden und mit welchen Mitteln sie daran arbeiten, angemessen gehört zu werden. Es werden u.a. Texte des Curé Meslier sowie von Daniel Defoe, Salomon Maimon, Denis Diderot, Ulrich Bräker, C.F. Laukhard und Olaudua Equiano bearbeitet werden. Als Einführung können sowohl die Einleitung als auch die einzelnen Beiträge des Bandes Françoise Knopper, Wolfgang Fink (Hg.): Das Abseits als Zentrum. Autobiographien von Außenseitern im 18. Jahrhundert. Halle-Wittenberg: Universitätsverlag 2017 genutzt werden.

Weitere Literatur: Georg Simmel: Exkurs über den Fremden [1908]. In: ders. Soziologie. Untersuchungen über die Grundformen der Vergesellschaftung. Berlin 51968, S. 509-512; Robert E. Park: Human Migration and the Marginal Man. In: The American Journal of Sociology 33/6 (1928), S. 881-893; Eric J. Hobsbawm: Sozialrebellen. Archaische Sozialrebellen im 19. und 20. Jahrhundert. Neuwied Berlin: Luchterhand 1971; Anke Bennholdt-Thomsen, Alfredo Guzzoni: Der „Asoziale“ in der Literatur um 1800. Königstein/Ts. 1979; Christoph Sachße, Florian Tennstedt (Hg.): Bettler, Gauner und Proleten. Armut und Armenfürsorge in der deutschen Geschichte. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1983; Tenbruck, Friedrich H.: Bürgerliche Kultur, in: Friedhelm Neidhardt u.a. (Hg.): Kultur und Gesellschaft. Fs. René König. Opladen 1986, S. 263-285 (=KZSS Sonderheft 27); Iris Marion Young: Fünf Formen der Unterdrückung. In: Christoph Horn, Nico Scarno (Hg.): Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M. Suhrkamp 2002, S. 428-445; Dirk Hoerder: Cultures in Contact. World migration in the second millennium. Durham London: Duke UP 2002; Gayatri Chakravorti Spivak: Can the subaltern speak? In: Bill Ashcroft, Gareth Griffiths, Helen Tifflin (Hg.): The Post-Colonial Studies Reader. London New York: Routledge 22006, S. 28-37; dies.: Scattered Speculations on the Subaltern and the Popular. In: dies.: An Aesthetic Education in the Era of Globalization. Cambridge/Mass. London: Harvard UP 2013, S. 429-442; Ernst Grünfeld: Die Peripheren. Ein Kapitel Soziologie [1939]. Mit einem Nachwort von Reinhold Sackmann. Halle-Wittenberg: Universitätsverlag 2015.

S: Literarische Anthropologie

(Mi 10-12)

Das Seminar wird zum einen eine Einführung in die Fragstellungen, Arbeitsansätze und auch in die Geschichte der Literarischen Anthropologie geben. Zum anderen wird es darum gehen, das Spannungsverhältnis von  philosophischer und literarischer Anthropologie, die sowohl als einander begleitenden als auch einander kompensierende, auch ggf. konkurrierende Zugänge zur Literatur in Erscheinung treten, anhand konkreter Textlektüren zu erkunden. Lässt sich der Mensch weder als Geschöpf Gottes noch als Naturwesen ausreichend bestimmen, so lässt sich Odo Marquard zufolge, doch immerhin von ihm erzählen. Zu fragen bleibt was? Und: Was ist aus der Funktion des Erzählers geworden, der Walter Benjamin zufolge immerhin früher jemand gewesen sein soll, „der dem Hörer Rat weiß.“ (Benjamin 1977: 388)

Wir werden im Seminar zunächst einige Texte lesen, die uns mit der angesprochenen Themenstellung vertraut machen können, dann zu den Arbeitsfragen literarischer Anthropologie anhand der gemeinsamen Lektüre zweier kurzer Texte: „Lazarillo von Tormes“ (1554) und Georg Büchners „Woyzek“ (1836/37) erste Antworten suchen. In der zweiten Hälfte des Semesters stehen dann einige umfangreichere Werke der Weltliteratur auf dem Programm: Henry Fieldings „Tom Jones“ (1749), Jean-Jacques Rousseaus „Emile“ (1762), Herman Melvilles „Moby Dick“ (1851), Robert Musils: Der Mann ohne Eigenschaften (1932-1943) und schließlich Philip Roths: Sabbat’s Theater (1995). Hierzu werden bereits zu Beginn des Semesters Lese- und Arbeitsgruppen eingeteilt, die im weiteren Verlauf des Seminars dann jeweils ein bis zwei Sitzungen vorbereiten und anbieten sollen. Die Mitarbeit an einer dieser Arbeitsgruppen ist für alle SeminarteilnehmerInnen verbindlich.

Literatur: Walter Benjamin: Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows [1936/37]. In: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt a.M. 1977, S. 385-410; Odo Marquard: Anthropologie, philosophische, in: Joachim Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie 1. Bd. Basel Darmstadt: Schwabe WBG 1971, S. 362-374; Wilhelm Schapp: In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding [1953]. Frankfurt a.M.: Klostermann 42004; Helmut Pfotenhauer: Literarische Anthropologie. Selbstbiographie und ihre Geschichte – Am Leitfaden des Leibes. Stuttgart: Metzler 1987; Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993; Odo Marquard: Narrare necesse est, in: ders.: Philosophie des Stattdessen. Studien. Stuttgart: Reclam 2000, S. 60-66; Albrecht Lehmann: Reden über Erfahrung. Kulturwissenschaftliche Bewusstseinsanalyse des Erzählens. Berlin: Reimer 2007; Alexander Košenina: Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen. Berlin: Akademie 2008; Wolfgang Riedel: Homo natura. Literarische Anthropologie um 1900. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011; Michael Neumann: Die fünf Ströme des Erzählens. Eine Anthropologie der Narration. Berlin Boston: de Gruyter 2013; Wolfgang Riedel: Nach der Achsendrehung. Literarische Anthropologie im 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2014.

FKolloq.: Gibt es „schöne“ Literatur? (Di 16-18)

Eine alte Frage, auf die es viele, vielleicht auch gar keine Antwort gibt. Insoweit wird auch nicht deren Beantwortung am Ende des Seminars zu erwarten sein. Vielmehr wird es darum gehen, sich erst einmal anhand einiger aktueller Zugänge und Debatten, auch Werken der Malerei, der Musik, der Bildenden Künste und nicht zuletzt der Fotographie, das Arbeitsfeld zu erschließen. In einem zweiten Schritt werden wir dann eine Reihe von Texten aus der Geschichte der Ästhetik und Literaturtheorie lesen und diskutieren; hierzu kann uns die Textsammlung von Michael Hauskeller (1994; 21999) als Lesebuch nützlich sein. Schließlich, und dies wird die zweite Hälfte des Semesters ausmachen, werden anhand ausgewählter literarischer und anderer künstlerischer Beispiele Möglichkeiten und Grenzen einer Bestimmung des Schönen im Einzelnen zu erkunden sein.

Zur Einstieg in die Seminararbeit: Jörg Zimmer: Schöne, das. In: Enzyklopädie Philosophie, hg. von Hans Jörg Sandkühler, Hamburg: Meiner 2010. Bd. 3, S. 2367-2370; Michael Hauskeller (Hg.): Was das Schöne sei. Klassische Texte von Platon bis Adorno. München: dtv 1994; Katy Couprie, Antonin Louchard: Die ganze Kunst. Hildesheim: Gerstenberg 2006; Was ist schön? Eine Ausstellung des Deutschen Hygienemuseums Dresden 2010. Göttingen: Wallstein 2010.

Weitere Literatur: Christopher Caudwell: Bürgerliche Illusion und Wirklichkeit. Beiträge zur materialistischen Ästhetik. München: Hanser 1971; Stéphanie Chapuis-Després: Schönheit, in: Enzyklopädie der Neuzeit Bd. 11, Darmstadt: WBG 2010, S. 833-842; Umberto Eco: Die Geschichte der Schönheit. München Wien: Hanser 2004; Umberto Eco: Die Geschichte der Hässlichkeit. München Wien: Hanser 2007; Christian Enzensberger: Literatur und Interesse, 2 Bände, München Wien: Hanser 1977; Hans-Georg Gadamer: Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest. Stuttgart: Reclam 1977; Hans Robert Jauss (Hg.): Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. München: Fink 1968 (=Poetik und Hermeneutik 3); Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Hg.): Der Schein des Schönen. Göttingen: Steidl 1989; Konrad Paul Liessmann: Schönheit. Wien: facultas (UTB) 2009/2011; Reinhard Löw: Über das Schöne. Warum das Schöne schön ist. Stuttgart Wien: Weitbrecht 1994 [lesenswerte, interessante Sichtweisen eines naturwissenschaftlich gebildeten Philosophen mit durchaus reaktionären politischen Akzenten]; Winfried Menninghaus: Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007; Renate Reschke: Schön/Schönheit, in: Ästhetische Grundbegriffe Bd. 5. Stuttgart Weimar: Metzler 2003, S. 390-436; Carsten Zelle: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche. Stuttgart Weimar: Metzler 1995; Jörg Zimmermann: Das Schöne. In: Ekkehard Martens, Herbert Schnädelbach (Hrsg.): Philosophie. Ein Grundkurs. Band 1, Rowohlt, Reinbek 72003, S. 348–394; Byung-Chul Han: Die Errettung des Schönen. Frankfurt a.M.: S. Fischer 2015; Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart: Reclam 2018 (bes. Kap. 5 und 6).

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